Arbeitsrecht 10/2023

1. Diskriminierende Kündigung?

Eine Diensntehmerin war als Zustellerin tätig und sie konnte aufgrund einer Schulterproblematik keine Tätigkeiten über Kopfhöhe mehr verrichten. Die Dienstnehmerin wurde gekündigt und klagte die Dienstgeberin, weil sie „aufgrund einer Behinderung“ gekündigt worden und daher diskriminiert worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab ihr aus folgenden Gründen nicht recht:

Grundsätzlich darf niemand aufgrund einer Behinderung im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis, insbesondere auch nicht bei der Beendigung des Dienstverhältnisses, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. Ein festgestellter Grad der Behinderung ist dabei nicht erforderlich ist. Lässt der Dienstnehmer die Beendigung gegen sich gelten, so hat er Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens und auf eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung. Nach dem Behinderteneinstellungsgesetz ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Zur Frage nach der Abgrenzung von Krankheit und Behinderung stellte der EuGH zunächst fest, dass Krankheit von Behinderung zu unterscheiden ist und Krankheit per se nicht als Diskriminierungsgrund zu qualifizieren ist. In der Folge hielt er differenzierend fest, dass der Begriff „Behinderung“ dahin auszulegen ist, dass er einen Zustand einschließt, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist.

Eine „Funktionsbeeinträchtigung“ bzw eine „Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen“ ist nach herrschender Ansicht eine Einschränkung jener Funktionen, die bei einem gesunden Gleichaltrigen in der Regel vorhanden sind. Nicht jede Funktionsbeeinträchtigung ist allerdings auch eine Behinderung. Zusätzlich ist erforderlich, dass die Auswirkung der Beeinträchtigung die Teilhabe des Betroffenen am Arbeitsleben erschweren kann. Bei dieser Beurteilung ist nicht (nur) auf die konkrete Arbeitsplatzsituation, sondern auf den abstrakten Arbeitsmarkt abzustellen.

Die Funktionsbeeinträchtigung darf zudem nicht nur vorübergehend sein, sondern sie muss voraussichtlich für mehr als sechs Monate. Die „Langfristigkeit“ der Beeinträchtigung ist nicht nach deren Eintritt, sondern erst ausgehend vom (potenziellen) Diskriminierungszeitpunkt zu beurteilen. Dabei ist (im Zweifel) eine Prognoseentscheidung zu treffen.

Von diesen Grundsätzen ausgehend, verneinte der Oberste Gerichtshof eine unmittelbare Diskriminierung der Klägerin. Die Klägerin wurde nicht wegen einer Behinderung (Funktionsbeeinträchtigung), sondern wegen ihrer erheblichen massiven Krankenstände gekündigt. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war von einem achtwöchigen Krankenstand aufgrund der Art des geplanten operativen Eingriffs und des durchschnittlichen Regelverlaufs auszugehen.

Ausgehend vom Kündigungszeitpunkt (dem von der Klägerin behaupteten Diskriminierungszeitpunkt) war ex ante gesehen nicht davon auszugehen, dass es sich bei der Schulterproblematik der Klägerin unter Bedachtnahme auf die notwendige Operation und den erforderlichen Nachbehandlungen um eine Behinderung handelt.

Der sich im Wesentlichen aus dem postoperativen Heilungsverlauf der Klägerin ergebende Krankenstand ist mit den geforderten langfristigen Auswirkungen auf die Teilhabe am Berufsleben, wie sie bei einer Behinderung vorliegt, nicht gleichzusetzen. Auch konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aufgrund ihrer Schulterverletzung typischerweise ein zusätzliches Risiko von Krankenständen gehabt hätte (OGH vom 28.6.2023, 9 ObA 36/23).

2. Abgeltung von Überstunden

Mit einem Mitarbeiter in leitender Funktion wurde eine All-In-Vereinbarung getroffen, wonach mit seinem Gehalt die gesetzlich zulässigen Mehr- und Überstunden abgegolten wurden. Es konnte nicht festgestellt werden, wie viel der Kläger tatsächlich arbeitete, und auch nicht, dass Überstunden zur Bewältigung der ihm übertragenen Aufgaben notwendig waren, zumal der Kläger nach eigenem Gutdünken Arbeit sowohl innerhalb des Unternehmens, als auch an externe Fachkräfte delegieren konnte.

Der Kläger hat der Beklagten auch nie mitgeteilt, dass er zusätzliche, nicht bereits in der All-In-Vereinbarung inkludierte Überstunden erbringen musste. Wenn der Kläger über seine hohe Arbeitsbelastung klagte, reagierte die Beklagte mit der Einstellung von zusätzlichem Personal zu seiner Entlastung.

Der Kläger verlangte eine zusätzliche Abgeltung von Überstunden. Ein Anspruch auf Überstundenbezahlung ist aber nur gegeben, wenn diese ausdrücklich oder schlüssig angeordnet wurden, oder etwa wenn der Dienstgeber Arbeitsleistungen entgegennahm, die auch bei richtiger Einteilung der Arbeit nicht in der normalen Arbeitszeit erledigt werden konnten. Sind Überstunden zwar nicht angeordnet worden, hat aber die dem Arbeitnehmer übertragene Aufgabe die Leistung von Überstunden notwendig gemacht, muss der Arbeitnehmer dies – soweit die Umstände nicht ohnehin offenkundig sind – dem Arbeitgeber anzeigen, um seinen Anspruch zu wahren. Hat der Arbeitgeber die Überstunden in Kenntnis ihrer Notwendigkeit geduldet und entgegengenommen, kann er ihre Entlohnung nicht deswegen verweigern, weil er sie nicht angeordnet habe.

Im konkreten Fall stand dem Kläger aber – so der Oberste Gerichtshof – kein Anspruch auf das eingeklagte Überstundenentgelt zu, weil er eben gerade nicht gemeldet hatte, dass er mehr Überstunden machen musste, um seine Arbeiten schaffen zu können (OGH vom 27.6.2023, 8ObA29/23g).

3. Rückersatz der Ausbildungskosten

Einem Arbeitnehmer wurde von seinem Arbeitgeber eine Ausbildung finanziert. Erst nach Beginn der Ausbildung wurde eine (schriftliche) Vereinbarung zum Rückersatz der Ausbildungskosten für den Fall der Kündigung durch den Arbeitnehmer geschlossen. Der Arbeitnehmer kündigte in der Folge und der Arbeitgeber klagte die Ausbildungskosten – zu Unrecht, wie der Oberste Gerichtshof ausführte:

Soll der Arbeitnehmer zum Rückersatz von Ausbildungskosten verpflichtet werden, muss nach ständiger Rechtsprechung darüber noch vor einer bestimmten Ausbildung eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen werden, aus der auch die konkrete Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten hervorgeht. Der Oberste Gerichtshof begründet diese Rechtsprechung mit dem Zweck, für den Arbeitnehmer Transparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten seiner Ausbildung zu schaffen. Ihm soll ersichtlich sein, auf welche Verpflichtungen er sich künftig einlässt, weil er nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen kann, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde. Nur so kann eine sittenwidrige Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers vermieden werden.

Auch in der vorliegenden Konstellation war daher das auf eine erst nach Beginn der Ausbildung abgeschlossene (schriftliche) Vereinbarung gestützte Begehren der Klägerin auf Rückersatz von Ausbildungskosten nicht berechtigt.

Auch wenn dem Beklagten die Höhe der Ausbildungskosten bekannt und die Ausbildung zeitlich fixiert war, wurden die Modalitäten über einen allfälligen Rückersatz wurden zwischen den Parteien aber erst in der nach Beginn der Ausbildung abgeschlossenen Vereinbarung über den Ausbildungskostenrückersatz festgelegt.

Der Arbeitnehmer soll sich auch nach bereits begonnener Ausbildung im aufrechten Arbeitsverhältnis nicht mit einer vom Arbeitgeber zur Unterschrift vorgelegten Vereinbarung über die Rückforderbarkeit der bereits vom Arbeitgeber übernommenen Kosten konfrontiert sehen. Er kann auch dadurch unter Umständen in eine Drucksituation gelangen, die seinem schützenswerten Interesse, sich frei und sachlich für oder gegen die Teilnahme an einer Ausbildung entscheiden zu können, entgegen steht (OGH vom 28.6.2023, 9 Ob A 48/23h).

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