1. Widerruf einer Überstundenpauschale
Zwischen einem Arbeitgeber und einer Arbeitnehmerin war eine Pauschalentlohnung für 8 Überstunden monatlich gegen „jederzeitigen Widerruf“ gewährt. Sie hat die mit dem Pauschale abgedeckten Überstunden regelmäßig geleistet. Der Arbeitgeber entzog ihr das Pauschale und untersagte ihr in der Folge ausdrücklich weitere Überstunden, weil die Klägerin über mehrere Jahre fast ausnahmslos ihre vorgegebenen Arbeitsziele nicht erreichen konnte und gegenüber vergleichbaren Angestellten im Schlussfeld angesiedelt war.
Strittig war, ob dieser Entzug der Pauschale unsachlich und damit unzulässig war oder nicht:
Der Oberste Gerichtshof führte aus, dass Überstundenpauschalen ohne Vorbehalt des Widerrufs
fester Entgeltbestandteil sind und daher auch bei Verringerung der Überstundenleistung des Arbeitnehmers unter das seinerzeit zugrundegelegte Ausmaß vom Arbeitgeber nicht einseitig widerrufen werden dürfen.
Im konkreten Fall gab es aber einen Widerrufsvorbehalt und dieser wurde – so der Oberste Gerichtshof – nicht aus unsachlichen Gründen in Anspruch genommen. Soweit nach einem zulässigen Widerruf des Pauschales weiterhin Überstunden anfallen, sind sie einzeln zu entlohnen. Ein Anspruch des Arbeitnehmers, jedenfalls zu Überstunden herangezogen zu werden, besteht ohne ausdrückliche oder schlüssige Vereinbarung nicht (OGH 25.1.2023, 8ObA2/23m).
2. Verbot von religiöser Kleidung
Eine interne Regel eines Unternehmens, die das sichtbare Tragen religiöser, weltanschaulicher oder spiritueller Zeichen verbietet (hier: das Tragen eines Kopftuchs aufgrund muslimischen Glaubens), stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer angewandt wird.
Die in der RL 2000/78/EG enthaltenen Begriffe Religion und Weltanschauung sind dabei als ein Diskriminierungsgrund anzusehen (der sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen umfasst), da sonst der durch das Unionsrecht vorgesehene allgemeine Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf beeinträchtigt würde.
Die Klägerin, die muslimischen Glaubens ist und ein Kopftuch trägt, bewarb sich bei einem Unternehmen um ein unbezahltes Praktikum. Die Verantwortlichen des Unternehmens bewerteten die Bewerbung der Klägerin positiv und fragten sie, ob sie bereit sei, die laut Arbeitsordnung geltende Neutralitätsregel einzuhalten, nach der sie ihr Kopftuch abzunehmen habe. Dies wurde von der Klägerin verweigert und ihre Bewerbung in der Folge abgelehnt. Einen Monat später bewarb sich die Klägerin erneut. und schlug vor, eine andere Art von Kopfbedeckung zu tragen. Das Unternehmen lehnte allerdings ab, da in ihren Geschäftsräumen keine Kopfbedeckung erlaubt sei, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch. So sei es nach der Arbeitsordnung den Arbeitnehmern verboten, „ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen,“ durch Worte, durch die Kleidung oder auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Unternehmen ua gegen die Bestimmungen des allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes verstoßen habe.
Der EuGH führte dazu folgendes aus : Der Diskriminierungsgrund „der Religion oder der Weltanschauung“ ist von dem Diskriminierungsgrund „der politischen oder sonstigen Anschauung“ zu unterscheiden und umfasst sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen.
Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine Bestimmung in einer Arbeitsordnung eines Unternehmens, die es den Arbeitnehmern verbietet, ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, durch Worte, durch die Kleidung oder auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen, gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Religions- und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Bekleidungsstücks mit religiösem Bezug ausüben möchten, keine unmittelbare Diskriminierung „wegen der Religion oder der Weltanschauung“ im Sinne des Unionsrechts darstellt, wenn diese Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.
Da jede Person eine Religion oder religiöse, weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen haben kann, begründet eine solche Regel, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, keine Ungleichbehandlung, die auf einem Kriterium beruht, das untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbunden ist
Eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende kann jedoch eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.
Eine solche Ungleichbehandlung würde nur dann keine mittelbare Diskriminierung darstellen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Der Wille eines Arbeitgebers, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, kann als rechtmäßiges Ziel angesehen werden. Der Wunsch, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit und ist grundsätzlich rechtmäßig, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Arbeitnehmer einbezieht, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen.
Der bloße Wille eines Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben – auch wenn er an sich ein legitimes Ziel darstellt -, reicht für sich genommen allerdings nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers festgestellt werden kann, das er nachzuweisen hat. Diese Auslegung ist von dem Bestreben geleitet, grundsätzlich Toleranz und Respekt sowie die Akzeptanz eines größeren Maßes an Vielfalt zu fördern und zu verhindern, dass die Einführung einer Neutralitätspolitik innerhalb eines Unternehmens zum Nachteil von Arbeitnehmern missbraucht wird, die religiöse Gebote beachten, die das Tragen einer bestimmten Bekleidung vorschreiben.
Schließlich führt der EuGH aus, dass das Unionsrecht es einem nationalen Gericht bei der Beurteilung der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung nicht verwehrt, im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen denen der Religion oder der Weltanschauung größere Bedeutung beizumessen als denen, die sich ua aus der unternehmerischen Freiheit ergeben, soweit sich dies aus seinem innerstaatlichen Recht ergibt. Der den Mitgliedstaaten eingeräumte Wertungsspielraum kann jedoch nicht so weit gehen, dass es ihnen oder den nationalen Gerichten erlaubt wäre, einen der Diskriminierungsgründe in mehrere Gründe aufzuspalten, da sonst der Wortlaut, der Kontext und der Zweck dieses Grundes infrage gestellt würden und die praktische Wirksamkeit des allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf beeinträchtigt würde. Da nämlich der Diskriminierungsgrund „der Religion oder der Weltanschauung“ alle Arbeitnehmer in gleicher Weise erfasst, würde ein Ansatz, bei dem dieser Grund entsprechend dem mit der betreffenden Regel verfolgten Ziel segmentiert wird, dazu führen, Untergruppen von Arbeitnehmern zu schaffen und damit den mit der RL 2000/78/EG geschaffenen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu beeinträchtigen (EuGH 13. 10. 2022, C-344/20, S.C.R.L. ).