1. Kettendienstverträge
Kettenarbeitsverträge sind nur dann rechtmäßig, wenn die Aneinanderreihung einzelner auf bestimmte Zeit abgeschlossener Arbeitsverträge im Einzelfall durch besondere soziale oder wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt ist. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sachlich berechtigte Gründe für die Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverhältnissen maßgebend waren, trifft den Arbeitgeber. Für die sachliche Rechtfertigung einer Verlängerung können auch wirtschaftliche Gründe in Frage kommen; diese kann sich aber nicht in der bloßen Überwälzung des Unternehmerrisikos erschöpfen. So ist es keine sachliche Rechtfertigung für eine Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge, dass sich der Arbeitgeber die Möglichkeit offenhalten will, bei Rückgang der Konjunktur die Zahl der Arbeitnehmer sofort zu vermindern, zumal hierdurch bloß ein typisch vom Unternehmer zu tragendes Risiko auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden würde. Ganz allgemein ist die Ungewissheit über den Stand der Aufträge ein typisches Betriebsrisiko. Dass eine Personalreduktion durch den Abschluss unbefristeter Arbeitsverhältnisse erschwert wird, ist ebenso Teil des allgemeinen Betriebsrisikos eines Arbeitgebers und rechtfertigt daher nicht, mit einzelnen Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft nach Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses weiterhin benötigt wird, befristete Arbeitsverhältnisse abzuschließen und ihnen die mit einer nur befristeten Verlängerung verbundenen erheblichen Nachteile aufzubürden. Konkret als bloße Überwälzung des Unternehmerrisikos und somit nicht ausreichende Rechtfertigung wertete der Oberste Gerichtshof etwa Befristungen bei einem Piloten aufgrund der Ungewissheit des Zeitpunkts des Ausscheidens der Flugzeuge des von ihm geflogenen Typs. Auch die wiederholte Befristung von Nachhilfelehrern und Trainern im Bereich Bewerbungstraining, Berufsorientierung und Jobcoaching oder im Rahmen von AMS‑Kursen aufgrund des von der Auftragslage des Arbeitgebers abhängigen Bedarfs an Arbeitnehmern wurde als unzulässiger Kettendienstvertrag angesehen, da bei einer ausschließlich an dem sich jeweils ergebenden Bedarf des Arbeitgebers orientierten Gestaltung der Arbeitsverhältnisse das gesamte Beschäftigungsrisiko auf die Arbeitnehmer überwälzt werden würde.
Im hier zu entscheidenden Fall kam die Beklagte 2019 auf den Markt. Mit dem Kläger wurde zunächst ein unbefristetes Dienstverhältnis mit Probemonat, dann zwei befristete Dienstverhältnisse „aufgrund der ungewissen und schlechten Wirtschaftslage“ und da „unter anderem auch ‚Corona‘-bedingt die weitere wirtschaftliche Entwicklung nicht absehbar“ sei, vereinbart. Der Oberste Gerichtshof beurteilte dies rechtlich als unzulässigen Kettenarbeitsvertrag, weil damit das wirtschaftliche Risiko auf den Dienstnehmer überwälzt worden wäre (OGH 23.7.2024, 9 ObA 17/24a).
2. Dauer der Entgeltfortzahlung bei Kündigung bzw einvernehmlicher Auflösung im Krankenstand
Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin von 6. 3. 2019 bis 28. 2. 2023 als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung während eines Krankenstands des Klägers, der von 17. 1. bis 14. 5. 2023 dauerte. Die Arbeitgeberin zahlte dem Kläger das Entgelt bis einschließlich 5. 3. 2023 fort.
Der Kläger begehrte von der Arbeitgeberin weitere Entgeltfortzahlung für die Zeit von 6. 3. bis 6. 4. 2023. Es handelte sich dabei um den Entgeltfortzahlungsbetrag bis zur Erschöpfung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsdauer für das am 6. 3. 2022 begonnene Arbeitsjahr, dh aus dem letzten Arbeitsjahr, handelt.
Die Arbeitgeberin beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, der Entgeltfortzahlungsanspruch sei jeweils als Kontingent eines Arbeitsjahres zu sehen. Da der 5. 3. 2023 der letzte Tag des am 6. 3. 2022 begonnenen Arbeitsjahres des Klägers gewesen sei, ende die Entgeltfortzahlung an diesem Tag.
Strittig war nun, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem fiktiven Beginn eines neuen Arbeitsjahres endet, auch wenn im alten Arbeitsjahr noch ein Entgeltfortzahlungsanspruch offen gewesen ist.
Der Oberste Gerichtshof entschied wie folgt:
Endet ein Arbeitsverhältnis einvernehmlich, bleibt derEntgeltfortzahlungsanspruch für die gesetzliche Dauerbestehen, auch wenn das Arbeitsverhältnis früher endet.
Bei wiederholter Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) innerhalb eines Arbeitsjahres besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch nur insoweit, als die gesetzliche Dauer (die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängt) noch nicht erschöpft ist. Diese Bestimmung hat (lediglich) die folgende Konsequenz: Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs verringert sich um alle innerhalb desselben Arbeitsjahres gelegenen Zeiträume, für die der Arbeitnehmer bereits einen Entgeltfortzahlungsanspruch hatte. Mit anderen Worten: Die geregelte Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs darf innerhalb eines Arbeitsjahres nicht überschrittenwerden.
Eine darüber hinausgehende „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, dass der Arbeitnehmer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung eine Entgeltfortzahlung nur bis zu jenem Zeitpunkt beanspruchen könnte, in dem das bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses laufende Arbeitsjahr (fiktiv) geendet hätte, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitpunkt noch aufrecht gewesen wäre.
Der OGH bezeichnete die gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung mehrmals als „Kontingentsystem“. Der Entgeltfortzahlungsanspruch sei „auf das Arbeitsjahr abgestellt“ Daraus folgt aber nicht, dass der Arbeitnehmer in einem Fall der einvernehmlichen Auflösung während des Krankenstandes eine Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende seines letzten Arbeitsjahres beanspruchen könnte. Eine solche „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr gewährleistet das Gesetz in diesem Fall die Ausschöpfung des noch nicht verbrauchten Kontingents des Entgeltfortzahlungsanspruchs für das laufende Arbeitsjahr. Dem kranken Arbeitnehmer soll „der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt“. Die Ansicht der Arbeitgeberin, der Kläger könne die Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende des letzten Arbeitsjahres beanspruchen, würde diesen Zweck aushöhlen und stünde auch mit dem Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch.
Wird das Dienstverhältnis daher während des Krankenstandes einvernehmlich aufgelöst, bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die gesetzlich vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet. Auch wenn hinsichtlich der Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf das Arbeitsjahr abgestellt wird („Kontingentsystem“), so folgt daraus nicht, dass der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nur bis zum (fiktiven) Ende seines letzten Arbeitsjahrs beanspruchen könnte. Dem erkrankten Arbeitnehmer bleibt daher der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr gewahrt, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt (OGH 23. 7. 2024, 9 ObA 54/24t).
3. Nichtverlängerung eines befristeten Vertrages – unmittelbare Diskriminierung wegen Schwangerschaft
Soll eine Arbeitnehmerin in einer Position eingesetzt werden, die nach einer entsprechende Grundausbildung eine nachfolgende Spezialausbildung voraussetzt (hier: als Schätzmeisterin), so ist davon auszugehen, dass trotz Befristung des Dienstverhältnisses die Arbeitgeberin von Beginn an den Willen hatte, die Arbeitnehmerin im Falle ihrer Bewährung dauerhaft (mithin unbefristet) zu beschäftigen. Wird das Dienstverhältnis von der Arbeitgeberin jedoch nach Ablauf der Befristung nicht verlängert, nachdem die Arbeitnehmerin ihre Schwangerschaft mitgeteilt und erklärt hatte, die geplante Schwerpunktausbildung wahrscheinlich nicht termingerecht antreten zu können, liegt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor. Die diskriminierende Nichtverlängerung führt zur Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, was einem Kontrahierungszwang des Arbeitgebers gleichkommt (OGH 22. 5. 2024, 8 ObA 18/24s).