1. Auslegung einer Verfallsklausel hinsichtlich des Beginns des Fristenlaufs
In einem Dienstvertrag war eine Verfallsklausel enthalten, wonach „Ansprüche aus diesem Vertrag verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten uns gegenüber schriftlich erhoben werden„.
Der Arbeitnehmer wollte nach Beendigung des Dienstverhältnisses Schadenersatzansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Der Arbeitgeber wandte Verfall der Ansprüche ein. Der Arbeitnehmer vertrat die Meinung, dass schon aufgrund der Kürze der Verfallsfrist die Verfallsklausel so ausgelegt werden muss, dass die Frist erst nach „angemessener Frist ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ beginne, weil ansonsten die Anspruchsverfolgung mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden wäre.
Der Oberste Gerichtshof wies die Klage ab und entschied, dass diese Vertragsklausel so auszulegen war, dass der Beginn des dreimonatigen Fristenlaufs (so wie jener der Verjährungsfrist) – mangels abweichender Parteienvereinbarung – mit der Fälligkeit des geltend gemachten Anspruchs beginnt. Der Zweck derartiger Verfallsklauseln liegt darin, dem Beweisnotstand bei späterer Geltendmachung zu begegnen. Sie zwingen den Arbeitnehmer, allfällige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis möglichst bald und damit zu einer Zeit geltend zu machen, in der nicht nur ihm selbst, sondern auch dem Arbeitgeber die zur Klarstellung des rechtserheblichen Sachverhalts notwendigen Beweismittel in aller Regel noch zur Verfügung stehen.
Dass es für den Schadenersatzberechtigten im Einzelfall schwierig sein kann, den Kausalzusammenhang zwischen schädigender Handlung und Schaden zu beurteilen, mag durchaus sein, ist aber kein Grund, die konkrete Verfallsklausel anders auszulegen. Auch der Umstand, dass in anderen Einzelverträgen und Kollektivverträgen der Beginn der Verfallsfrist mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses festgesetzt wird, ist kein Kriterium für die Auslegung der hier zu beurteilenden Verfallsklausel.
Diese Auslegung der Verfallsklausel hat zwar zur Folge, dass der Arbeitnehmer (fällige) Schadenersatzforderungen gegen den Arbeitgeber allenfalls während des aufrechten Arbeitsverhältnisses geltend machen muss. Doch auch wenn dieses Ergebnis für den Arbeitnehmer im Einzelfall unbefriedigend sein mag, ändert dies nichts an der rechtlichen Beurteilung (OGH 26. 7. 2023, 9 ObA 46/23i).
2. Entlassung nach dem Besuch einer Feier im Krankenstand
Ein Arbeitnehmer erkrankte wegen einer Depression. Die behandelnde Ärztin legte keine Beschränkungen der Ausgehzeiten fest, verordnete keine Bettruhe und gab dem Arbeitnehmer keine Anweisungen für das Verhalten im Krankenstand. Während des Krankenstandes nahm der Arbeitnehmer (dann Kläger) nachts an der 35-Jahr-Feier seines Motorradclubs teil. Sein Aufenthalt beschränkte sich nicht auf bloß 30 bis 40 Minuten. Er konnte nicht davon ausgehen, dass die Teilnahme an einer nächtlichen Feier gemeinsam mit Mitgliedern seines Motorradclubs seinen Krankheitsverlauf positiv beeinflussen würde. Er konnte nicht ausschließen, dass durch eine solche Teilnahme der Heilungsverlauf gefährdet würde.
Kollegen und Vorgesetzte des Klägers entdeckten die Fotos, Facebook-Postings und ein YouTube-Video von der Feier. Der Kläger wurde daraufhin von seinem Vorgesetzten im Auftrag der Personalstelle angerufen, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren, diesen nahm der Kläger allerdings unter dem Vorwand, seine Ärztin hätte ihm davon abgeraten, nicht wahr. In Wahrheit hatten weder die Ärztin noch die Psychotherapeutin eine Empfehlung gegeben, dass der Kläger ein solches Gespräch nicht wahrnehmen könne. Der Kläger wollte das Gespräch allerdings vermeiden, weil er sich dabei nicht wohlgefühlt hätte. Tags darauf wurde der Kläger entlassen.
Der OGH erklärte die Entlassung aus folgenden Gründen für unwirksam:
Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird. Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund verwirklichen. Ein Arbeitnehmer darf ärztlichen Anordnungen jedenfalls nicht schwerwiegend bzw betont und im erheblichen Maß zuwiderhandeln und die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen.
Dem festgestellten Sachverhalt ließ sich aber eine objektive Eignung, den Heilungsverlauf der beim Kläger bestehenden Depression zu gefährden, nicht entnehmen. Dass der Kläger „nicht ausschließen“ konnte, dass der Heilungsverlauf durch sein Verhalten gefährdet würde, betrifft eine allfällige subjektive Vorwerfbarkeit gegenüber dem Kläger, worauf es aber nicht ankommt, weil schon ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten nicht ersichtlich war. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin besteht kein (von der speziellen Erkrankung unabhängiger) Erfahrungssatz dahin, dass „kranke“ Personen (generell) nachts (besonderer) Ruhe bedürfen und eine Störung der Nachtruhe den Heilungsverlauf (jedenfalls) gefährdet.
Bei der Beurteilung, ob der Arbeitnehmer den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt hat, ist nicht auf das subjektive Empfinden des Arbeitgebers abzustellen, sondern es ist stets eine objektive Wertung des Verhaltens des Arbeitnehmers vorzunehmen. Dieser Bewertung ist somit das konkret gesetzte Verhalten des Klägers zugrunde zu legen.
Da es nach der Rechtsprechung im hier vorliegenden Zusammenhang auf dem Heilungsverlauf abträgliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers im Krankenstand ankommt, ist die Frage, ob ein Verhalten für die Behandlung einer Krankheit (sogar) förderlich wäre (wie der Kläger behauptete) bzw ob er davon ausgehen konnte, seinen Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen (wie das Erstgericht feststellte), nicht entscheidungswesentlich (OGH 27. 9. 2023, 9 ObA 67/23b).
Bewusst unrichtige Zeiterfassung im Homeoffice – Entlassung
Ein Arbeitnehmer täuschte im Homeoffice durch wahrheitswidrige Einträge der Arbeitszeit im Arbeitszeiterfassungssystem nicht erbrachte Arbeitsleistungen vor und wurde entlassen. Er hatte dabei keine Schädigungsabsicht, weil er am Vortag im Zeiterfassungsprogramm nicht erfasste Überstunden machte und sich daher insgesamt keinen finanziellen Vorteil verschaffte.
Der Oberste Gerichtshof erachtete diese Entlassung trotzdem als berechtigt, weil eine Schädigungsabsicht keine Tatbestandsvoraussetzung für den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit ist. Bei Arbeitsleistungen im Homeoffice genießt der Arbeitnehmer eine besondere Vertrauensstellung, weil in diesen Fällen (vergleichbar mit Reisenden) weder eine exakte Überwachung der Arbeitszeit noch eine genaue Kontrolle der Tätigkeit möglich ist, sondern der Arbeitgeber im Wesentlichen auf die Richtigkeit der Berichte und Angaben des Arbeitnehmers angewiesen ist (OGH 27. 9. 2023, 9 ObA 58/23d).