- Verfristung der Klage auf Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
Ein Betriebsratsmitglied weigerte sich trotz mehrfacher Verwarnungen wiederholt, die Arbeitgeberin über seine Abwesenheiten vom Dienst wegen betriebsrätlicher Tätigkeiten frühzeitig und ausreichend zu informieren. Bei dem letzten Vorfall wurde er darauf hingewiesen, dass dies die letzte Verwarnung sei und im Wiederholungsfall das Kündigungsverfahren eingeleitet wird. Nach neuerliche, Fernbleiben des Betriebsratsmitgliedes mit der Begründung einer betriebsrätlichen Pflichterfüllung ohne entsprechende Bestätigung der Gewerkschaft, brachte die Arbeitgeberin 10 Tage nach diesem Vorfall Klage auf Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds bei Gericht ein. Strittig war, ob dieses Klage verfristet und rechtzeitig war.
Der Oberste Gerichtshof entschied wie folgt:
Das Einholen von Rechtsauskünften oder komplexe Unternehmensstrukturen können eine ausreichende Rechtfertigung für das Verstreichen eines solchen Zeitraums darstellen.
Zwar kann das Zuwarten mit dem Ausspruch der Kündigung bzw der Entlassung durch Gründe sachlich gerechtfertigt sein, die in der Natur des Dienstverhältnisses oder in den besonderen Umständen des Falles liegen (zB umständlichere Willensbildung bei juristischen Personen, unklarer Sachverhalt oder unklare Rechtslage), doch müssen sich diese Umstände im konkreten Einzelfall auch tatsächlich verwirklicht haben, wofür aber bei einem objektiv zu langen Zeitraum zwischen Bekanntwerden des Kündigungs- oder Entlassungsgrundes und seiner Geltendmachung der Arbeitgeber behauptungs- und beweispflichtig ist.
Macht der Arbeitgeber daher – wie hier die Klägerin – solche Gründe gar nicht geltend, können sie nicht abstrakt zu seinen Gunsten gewertet werden. Insbesondere kündigte die Klägerin bereits in der letzten vorangehenden Ermahnung an: „Dies stellt zugleich die letztmalige Verwarnung dar und wird im Wiederholungsfall wegen andauernder Pflichtverletzung das Kündigungs- oder Entlassungsverfahren gemäß ArbVG eingeleitet“. Somit hatte sie schon zu diesem Zeitpunkt entsprechende Überlegungen angestellt. Der BR-Vorsitzende legte über Aufforderung eine entsprechende Bestätigung der Gewerkschaft vor. Ein aufklärungsbedürftiger Sachverhalt lag danach nicht mehr vor und die Klägerin legt auch in der Revisionsbeantwortung nicht dar, welche Entscheidungsgrundlagen ihr gefehlt hätten.
Dem BR-Vorsitzenden ist daher darin zuzustimmen, dass von einer Verfristung des Anspruchs auf Zustimmung zur Kündigung auszugehen war (OGH 19. 9. 2024, 9 ObA 97/23i).
2. Rechtzeitigkeit einer Entlassung
Im vorliegenden Fall erlangte der Geschäftsführer des Unternehmens am Abend des 5. 10. 2020 Kenntnis von dem eine Entlassung rechtfertigenden Sachverhalt und wurde nach Rücksprache mit der Konzernleitung (in Deutschland) ein Gesprächstermin mit dem betroffenen Arbeitnehmer für den 9. 10. 2020 vereinbart, da ab März 2020 die Mitarbeiter grundsätzlich im Homeoffice sowie in Kurzarbeit tätig waren. Strittig war, ob die am 9.10.2020 ausgesprochene Entlassung rechtzeitig war. Der Oberste Gerichtshof entschied wie folgt: Aufgrund der COVID-19-Pandemie waren die Vereinbarung eines Gesprächstermins sowie die Kommunikation untereinander erschwert und nicht mit der Situation während eines Regelbetriebs vergleichbar. Es kann dem Arbeitgeber nicht zum Nachteil gereichen , dem Arbeitnehmer die Möglichkeit der Stellungnahme in einem persönlichen Gespräch einzuräumen.
Die Entlassung war daher nicht verspätet (OGH 23. 7. 2024, 9 ObA 1/24y).
3. Rückwirkung einer Betriebsvereinbarung
Die Betriebsvereinbarung ist ein Vertrag, auf den neben den besonderen Vorschriften des ArbVG über den Abschluss und den zulässigen Inhalt auch die Bestimmungen des ABGB über die rechtliche Möglichkeit und Erlaubtheit anzuwenden sind. Die Betriebsvereinbarung darf daher nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich zulässig, Betriebsvereinbarungen hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener Arbeitnehmer auch rückwirkend zu schließen, soweit dadurch die Arbeitnehmer nicht in ihren Rechten beschnitten werden. Auch eine rückwirkende Verringerung von mit Betriebsvereinbarung zugebilligten Leistungen durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung wird für zulässig angesehen.
Im vorliegenden Fall wurde 2019 in einer Zusatzvereinbarung zu einer Gleitzeitvereinbarung normiert, dass der Arbeitgeber bei Arbeitnehmern, die eine Funktionszulage beziehen, (ab März 2019) monatliche Abzüge von den Gleitzeitguthaben unter Anrechnung auf die gewährte Funktionszulage vornehmen darf, sofern das Gleitzeitguthaben am Ende eines Kalendermonats 40 Stunden nicht überschreitet. Mit Urteil vom 31. 8. 2022 stellte der OGH fest, dass der Zusatzbetriebsvereinbarung keine normative Wirkung als (ergänzende) Betriebsvereinbarung zukomme, weil sie nicht vom dafür zuständigen Vorstand unterzeichnet und damit genehmigt worden sei und sich eine Berechtigung zum Abzug der Zeitguthaben auch nicht aus der eigentlichen Gleitzeit-BV ableiten lasse. Daraufhin wurde die Zusatzvereinbarung Ende 2022 rückwirkend als Betriebsvereinbarung genehmigt. Dagegen wendet sich der zuständige Betriebsrat im vorliegenden Verfahren mit seiner Feststellungsklage; die Arbeitgeberin sei nicht berechtigt, bei ihren Angestellten, die eine Funktionszulage beziehen, seit 21. 3. 2019 monatliche Abzüge von den Gleitzeitguthaben unter Anrechnung auf die gewährte Funktionszulage vorzunehmen, sofern das Gleitzeitguthaben am Ende eines Kalendermonats 40 Stunden nicht überschreitet. Die Rechtsunwirksamkeit der Zusatzvereinbarung könne nicht durch den Beschluss des Verwaltungsrats der Beklagten rückwirkend saniert werden.
Alle drei Instanzen gaben der Klage statt. Der OGH verweist auf seine bisherige Rechtsprechung, dass eine nachträgliche Sanierung eines schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts nicht unbegrenzt möglich ist. Der Dritte kann dem Geschäftsherrn eine angemessene Frist zur nachträglichen Genehmigung setzen, mit deren Ablauf der Vertrag unwirksam ist. Setzt er dem Geschäftsherrn in seiner Aufforderung keine konkrete Frist, kann der Geschäftsherr nur innerhalb angemessener Frist genehmigen.
Gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern (als Dritte) konnte die Betriebsvereinbarung aber keine rückwirkende Kraft erzeugen, weil die Zusatzvereinbarung damit in unzulässiger Weise in deren Rechte eingreifen würde (OGH 26. 6. 2024, 9 ObA 31/24k).
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