Arbeitsrecht 10/2019

  1. Kündigungsverzicht

Der Dienstvertrag eines Geschäftsführers enthielt eine Klausel, wonach beide Parteien wechselseitig auf ihr ordentliches Aufkündigungsrecht für drei Jahre verzichteten.

Weiters verpflichtete sich der Geschäftsführer für die Dauer von 3 Jahren ab Vertragsbeginn weder seine Organfunktion als Geschäftsführer der Gesellschaft oder eines allenfalls verbundenen Unternehmens niederzulegen.

Sollte der Aufsichtsrat der Gesellschaft oder die Gesellschafterversammlung beschließen, die Gesellschaft nicht so wie bislang beabsichtigt fortzuführen, stand der Gesellschaft gemäß Dienstvertrag in Abweichung der Bestimmung zum Kündigungsverzicht das Recht zu, das Dienstverhältnis jeweils zum Monatsende mit einer Kündigungsfrist von 3 (drei) Monaten zu kündigen.

Während der ersten drei Jahre entschied der Dienstgeber, die Gesellschaft nicht so wie beabsichtigt fortzuführen und kündigte den Geschäftsführerdienstvertrag des Klägers; weiters wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen.

Der Geschäftsführer klagte auf Feststellung, dass das zwischen den Streitteilen bestehende Dienstverhältnis über den Kündigungstermin hinaus aufrecht fortbesteht und die Aufkündigung des Dienstverhältnisses rechtsunwirksam ist.

Der Oberste Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Kündigung nicht wirksam war.

Die Parteien hatte einen beidseitigen Kündigungsverzicht auf drei Jahre vereinbart. Zusätzlich wurde ausschließlich der Beklagten das strittige Sonderkündigungsrecht eingeräumt.

Betrachtet man allein die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers, bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der entsprechenden Regelung. Der Arbeitgeber verzichtet für drei Jahre auf die ordentliche Kündigungsmöglichkeit und behält sich die Kündigung nur aus einem bestimmten Grund vor.

Betrachtet man ausschließlich das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers, ergibt sich für die ersten drei Jahre ein Verzicht auf eine Kündigungsmöglichkeit. Ob eine solche Vereinbarung zulässig ist, muss hier nicht geprüft werden, weil die Unzulässigkeit von keiner der Parteien eingewendet wurde. Anders als der Beklagten wurde dem Kläger jedoch in der Vereinbarung keine Sonderkündigungsmöglichkeit eingeräumt.

Stellt man im konkreten Fall die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers gegenüber, ist es offenkundig, dass die des Klägers stärker eingeschränkt ist als die der Beklagten, weil ihm ein Sonderkündigungsrecht nicht zukommt.

Das Gleichheitsgebot erfordert es, dass die Lösungsmöglichkeit des Dienstgebers – wie jene des Dienstnehmers – eingeschränkt wird. Das bedeutet im konkreten Fall, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis ebenso wie der Kläger vor Ablauf der Frist für den Kündigungsverzicht nur durch Entlassung aus wichtigem Grund hätte auflösen können. Ein Kündigungsrecht vor Ablauf der drei Jahre steht ihr dagegen nicht zu. Die Beklagte war daher nach dem Gleichheitsgebot nicht berechtigt, das Dienstverhältnis unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht vor Ablauf der drei Jahre aufzulösen (OGH 25.6.2019, 9 ObA 53/18m).

  1. Soziale Gestaltungspflicht des Arbeitgebers

Der 1966 geborene Kläger arbeitete von 2004 bis 2013 für mit der Beklagten verbundene Gesellschaften sowie für die Beklagte selbst, auf die das Dienstverhältnis letztlich überging, als Einkäufer. Weil er seinerzeit bei der Besetzung der Position des Leiters der Einkaufsabteilung nicht berücksichtigt worden war, man aber sein Wissen über von ihm verhandelte Verträge nicht verlieren wollte, verdiente er etwa doppelt so viel wie Kollegen. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit Kollegen wurde der Kläger 2013 zunächst nach Mexiko und in weiterer Folge nach Brüssel entsandt, wo er die Tätigkeit des „Leiters European Affairs“ ausübte. Mitte 2016 wurde der Kläger, zumal das Büro in Brüssel geschlossen wurde, nach Wien zurückbeordert. Im Bereich, in dem der Kläger eingestuft war („KV 7“), waren aber keine Positionen verfügbar. Da weiterhin „kein passender“ Arbeitsplatz für den Kläger bei der Beklagten vorhanden war und die Einigungsgespräche scheiterten, sprach die Beklagte mit Schreiben vom 9. 12. 2016 die Kündigung aus.

Von März 2015 bis November 2016 war bei der Beklagten keine Funktion im Bereich Einkauf mit einer Einstufung in KV 7 ausgeschrieben worden. In der Einstufung KV 6 waren es wenige Positionen in einer neu gegründeten Organisationseinheit für Produktmanagement, auf die sich der Kläger nicht bewarb.

Der Kläger focht die Kündigung an. Das Gericht hat bei einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Ist dies – wie hier nicht mehr strittig – der Fall, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen. Bei Vorliegen objektiver Rechtfertigungsgründe ist zu fragen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist; die objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird. Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen– freien – Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, so ist ihm dieser Arbeitsplatz vor Ausspruch der Kündigung anzubieten. Unterlässt der Arbeitgeber dieses Anbot, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Bei die wesentlichen Interessen der Arbeitnehmer beeinträchtigenden Kündigungen müssen vom Arbeitgeber alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausgeschöpft werden, um trotz Rationalisierungsmaßnahmen die bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Dabei ist nicht nur auf die vom Arbeitnehmer zuletzt ausgeübte Tätigkeit abzustellen; vielmehr sind sämtliche Tätigkeiten zu berücksichtigen, die er auszuüben bereit und in der Lage ist. Mit anderen Worten verpflichtet die soziale Gestaltungspflicht den Arbeitgeber insoweit zum Anbot freier Arbeitsplätze, als diese der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers entsprechen. Lediglich dann, wenn es sich um eine ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb handelt, muss der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich um diese Stellen bewerben.

Die Gestaltungspflicht des Arbeitgebers geht nicht so weit, dass er dem zu kündigenden Arbeitnehmer einen weniger qualifizierten Posten ohne Verringerung des Einkommens anbieten müsste. Handelt es sich aber um einen freien Posten innerhalb der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers, so ist ihm dieser vom Arbeitgeber auch dann anzubieten, wenn er schlechter entlohnt ist.

Im konkreten Fall hat die Beklagte, obgleich der Kläger noch auf Positionen mit – wenngleich deutlich geringerer – KV‑Einstufung einsetzbar war, ihm diese Positionen – naturgemäß zu dem dafür zustehenden geringeren Entgelt – gar nicht angeboten, weshalb sie ihrer sozialen Gestaltungspflicht nicht nachkam und die Kündigung daher nicht gerechtfertigt war (OGH 25.3.2019, 8 ObA 8/19p).

  1. Sozialwidrige Kündigung

Eine 53jährige Außendienstmitarbeiterin wurde gekündigt und focht die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an. Bei der Anfechtung einer Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen. Ist dies der Fall, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Die Beurteilung der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist in der Regel maßgeblich von den Arbeitsmarktchancen des gekündigten Arbeitnehmers abhängig. Beweisthema ist dabei nicht das Faktum einer neuen Anstellung, sondern die Frage, ob im Kündigungszeitpunkt objektive Faktoren vorlagen, die im Rahmen einer Prognose eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen der Klägerin vorhersehbar machten. Es kommt daher zur Beurteilung der Sozialwidrigkeit nicht darauf an, ob und wie intensiv sich die Klägerin nach der Kündigung um eine neue Arbeitsstelle bemüht hat.

Im konkreten Fall waren die Interessen der Klägerin unter Berücksichtigung aller Faktoren einschließlich der zu erwartenden Postensuchdauer und voraussichtlicher Einkommenseinbuße wesentlich beeinträchtigt und das Gericht musste daher die konkreten Kündigungsgründe prüfen. Der Arbeitgeber machte betriebliche Gründe geltend

Im konkreten Fall wurde der Standort, dem die Klägerin zugeordnet war, zwar aufgelassen, ihre (Außendienst‑)Tätigkeit wird aber nach wie vor ausgeübt und zwar vom benachbarten Standort aus. Dies erfolgt durch angestellte Mitarbeiter, freie Dienstnehmer und in Zusammenarbeit mit selbstständig Erwerbstätigen. Die Beklagte sucht für diese Tätigkeit laufend neue Mitarbeiter und hat nach der Kündigung der Klägerin zumindest eine freie Dienstnehmerin und zwei selbstständig Erwerbstätige aufgenommen. Vorgabe der Betriebsleitung ist es, die Vertriebstätigkeit nicht mit angestellten Mitarbeitern auszuüben, sondern über freie Dienstnehmer oder selbstständig Erwerbstätige abzuwickeln.

Eine Kündigung ist dann durch betriebliche Erfordernisse begründet, wenn sie im Interesse des Betriebs notwendig ist. Im Fall einer betrieblichen Rationalisierung ist die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Richtigkeit der Maßnahme grundsätzlich dem wirtschaftlichen Ermessen des Betriebsinhabers vorbehalten. Die konkrete Kündigung muss aber zur Verwirklichung des beabsichtigten Erfolgs geeignet sein.

Die Kündigung ist nur dann in den Betriebsverhältnissen gerechtfertigt, wenn im gesamten Betrieb gerade für den betroffenen Arbeitnehmer kein Bedarf mehr gegeben ist und schließlich dem Arbeitgeber auch durch keine andere soziale Maßnahme die Erhaltung des Arbeitsplatzes zuzumuten ist. Bei Prüfung dieser Frage ist ein strenger Maßstab anzulegen, ganz besonders bei älteren Arbeitnehmern. Die wirtschaftliche Bedingtheit der Kündigung muss vom Arbeitgeber in rational nachvollziehbarer Weise im Kündigungsverfahren dargetan werden. Die Kündigung muss eine normale und für jedermann nachvollziehbare betriebswirtschaftliche Konsequenz einer unternehmerischen Disposition sein, wobei die Kündigung, nicht jedoch die sie auslösende Unternehmerdisposition der Rechtfertigung bedarf.

Der Betriebsinhaber ist im Rahmen der sogenannten Gestaltungspflicht verbunden, trotz Einschränkung des Betriebs oder trotz Rationalisierungsmaßnahmen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, seine bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Der Arbeitgeber darf nicht ohne triftigen Anlass Arbeitnehmer kündigen und dafür neue einstellen.

Da im konkreten Fall nach wie vor Außendienstmitarbeiter beschäftigt waren, lagen – so der Oberste Gerichtshof – keine ausreichenden Gründe für die Kündigung vor, sondern war diese rechtsunwirksam (OGH 15.5.2019, 9 ObA 43/19t).

  1. Leitende Angestellte

Für die Qualifikation als leitende Angestellte kommt es vor allem auf die Entscheidungsbefugnis im personellen Bereich an, weil sie den Interessengegensatz zu den übrigen Belegschaftsmitgliedern bewirkt, der der Ausnahmebestimmung zugrundeliegt. Allein die Aufgabe der Vorbereitung von Personalentscheidungen genügt dafür nicht.

Es ist aber andererseits nicht erforderlich, dass dem leitenden Angestellten alleinige Entscheidungskompetenz in allen Personalangelegenheiten zukommt. Der Oberste Gerichtshof hat beispielsweise ausgesprochen, dass die Stellung unter einem handelsrechtlichen Geschäftsführer oder die Unterwerfung eines Geschäftsleiters an Weisungen des Vorstands in Personalfragen einer Qualifikation als leitenden Angestellten nicht entgegensteht. Es ist nicht erforderlich, dass der leitende Angestellte über eine Prokura, Handlungsvollmacht oder Zeichnungs- bzw Vertretungsbefugnis nach außen verfügt, da dies über den maßgebenden Einfluß auf die Betriebsführung allein noch nichts aussagt, ihn aber auch nicht ausschließt.

Im vorliegenden Fall war der Klägerin als General Manager die Gesamtverantwortung für die Führung des Beschäftigerbetriebs mit zunächst rund 180, später rund 100 Vollzeitäquivalenten an Mitarbeitern überantwortet. Sie konnte Einstellungen und Auflösungen von Dienstverhältnissen bis unterhalb der Position von Bereichsleitern eigenverantwortlich entscheiden. Allerdings hatte sie bei der Gewährung von Gehaltserhöhungen budgetäre Vorgaben einzuhalten und Urkunden mussten im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips auch vom Geschäftsführer oder dem Prokuristen – dessen Vorgesetzte die Klägerin aber im operativen Geschäft war – mit unterzeichnet werden. Sie war Ansprechpartnerin des Betriebsrats auf Arbeitgeberseite.

Der Klägerin kam in ihrer dargestellten Position so wesentliche Entscheidungsmacht in Personalangelegenheiten zu, dass ein Interessengegensatz zur Belegschaft bestand und sie als leitende Angestellte iSd zu qualifizieren war, die zur Anfechtung einer Kündigung gemäß ‚Arbeitsverfassungsgesetz nicht berechtigt war (OGH 27.6.2019, 8 ObA 76/18m).

  1. Lohnsteuernachzahlung für Abfindung

Die Streitteile lösten den Vorstandsvertrag des Beklagten mit Auflösungsvereinbarung vom 16. 6. 2016 auf. Dem Beklagten wurde darin eine Abfindung in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern zuerkannt. Die Vereinbarung enthielt auch eine Generalbereinigungsklausel. Die Vorinstanzen gaben dem Begehren der Klägerin auf Ersatz einer Steuernachzahlung aus der Abfindung statt. In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision hält der Beklagte dem die Generalbereinigungsklausel („sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem freien Dienstverhältnis/Anstellungsvertrag“) entgegen, die auch steuerliche Nachforderungen aus der Abfindungszahlung erfasst habe, soweit sie den in Österreich zu versteuernden Teil betroffen habe.

Hat das Finanzamt die Haftung des Arbeitgebers für zu wenig abgezogene Lohnsteuer in Anspruch genommen, so tritt der Arbeitgeber – hier die Klägerin – in die Rechte des ursprünglichen Gläubigers (Republik Österreich) ein; er ist in einem solchen Fall befugt, vom Arbeitnehmer – hier dem Beklagten – als Steuerschuldner den Ersatz der bezahlten Schuld zu fordern.

Es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass mit einer in einer Auflösungsvereinbarung enthaltenen Generalklausel, nach der die wechselseitigen Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis bereinigt und verglichen sein sollen, auch Streitigkeiten aus denjenigen Ansprüchen mitverglichen sein sollen, die erst durch die Auflösungsvereinbarung geschaffen werden. Auch war der Parteiwille der Streitteile klar darauf gerichtet, dass die dem Beklagten zu leistende Abfindungszahlung der Höhe nach sechs Bruttomonatsgehälter betragen sollte. Dass dem Beklagten ein bestimmter Nettobetrag zufließen sollte, wurde nicht vereinbart. Anders als bei echten Nettolohnvereinbarungen sollte daher den Beklagten das Steuerrisiko treffen. Seine Ansicht, dass die Klägerin infolge der Nachforderung durch die Abgabenbehörde den ihm überhöht ausbezahlten Betrag nicht zurückfordern dürfte, hätte zur Folge, dass die Klägerin mehr bezahlen und der Beklagte mehr erhalten würde, als es der klaren Vereinbarung einer Abfindungszahlung nach Maßgabe der Bruttomonatsgehälter entspräche. Ein derartiges Verständnis ist den Streitteilen daher nicht zuzusinnen (OGH 23.7.2019, 9 ObA 74/19a).

 

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