Arbeitsrecht 11/2022

1. Betriebsvereinbarungspflicht für elektronisches Schließsystem

Ein Logistikunternehmen hatte 2021 die Außentüren und ausgewählte Türen im Innenbereich ihres Betriebs unter Verwendung des Systems „e*“ mit einem elektronischen Schloss versehen. Der Betriebsrat verlangte gerichtlich die Unterlassung der Nutzung dieses Systems ohne Zustimmung in Form einer Betriebsvereinbarung. Er begründete dies damit, dass durch das System das arbeitsbezogene Verhalten sowie auch die Privatsphäre der Arbeitnehmer kontrolliert werden könnte.

Die Einführung dieser Kontrollmaßnahmen und technischen Systeme zur Kontrolle der Arbeitnehmer – so der Betriebsrat – berührten schon aufgrund ihrer objektiven Kontrolleignung die Menschenwürde. Im gegenständlichen Fall gestalte sich die Kontrolle konkret derart, dass die Beklagte jedem Mitarbeiter ein individuell angefertigtes Zutrittstool (Karte oder Chip) aushändige. Jedes dieser Tools sei im System einem anhand der persönlichen Mitarbeiterdaten angelegten Benutzerprofil zugeordnet. Zu passierende Türen könnten ausschließlich mit diesen Zutrittstools geöffnet werden. Sämtliche dieser Türöffnungen („Bewegungen“) würden mit exakter Angabe der Uhrzeit („Zeitstempel“) unter Zuhilfenahme technischer Mittel digital zentral gespeichert. Eine Auswertung dieser Daten sei eingeschränkt auf einzelne individuell bestimmte Mitarbeiter („Benutzer“) jederzeit möglich. Dies führe dazu, dass technische Möglichkeiten geschaffen und auch laufend weiter ausgebaut würden, die es der Beklagten ermöglichten, ein arbeitnehmerbezogenes Bewegungsprofil während des ganzen Arbeitstages zu erstellen. Auch die im Betrieb verbrachte arbeitsfreie Zeit und selbst durch menschliche Bedürfnisse bedingte Arbeitsunterbrechungen seien davon nicht ausgenommen, sodass auch die von den Arbeitnehmern in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre permanent kontrolliert werde. Es liege somit eine nicht nur stichprobenartige, sondern vielmehr permanente technische Kontrolle bzw zumindest die Möglichkeit dazu vor. Nachdem die Tools gleichzeitig für die Erfassung der Arbeitszeit genutzt werden müssten, sei die Verknüpfung der erhobenen Daten mit Daten aus anderen Systemen offenkundig.

Das Unternehmen brachte vor, dass es lediglich zwei Serverräume, zwei Großraumbüros, ein Einzelbüro des Fuhrparkleiters, zwei Türen im Schleusenbereich zum Nachbarunternehmen T* sowie Nebeneingänge in das zentrale Betriebsgebäude, welche über keine sonstigen Sicherheitsmaßnahmen verfügten mit dem elektronischen Zutrittssystem ausgestattet habe. Der gesamte Hauptein- und ausgangsbereich sei hingegen während der normalen Betriebsstunden, nämlich von 06:00 Uhr bis 15:00 Uhr ganztägig geöffnet und daher vom gegenständlichen System nicht betroffen. Es müsse daher weder beim Betreten des Hauptgebäudes, noch beim Entfernen aus dem Hauptgebäude während der Öffnungszeiten 06:00 Uhr morgens bis 15:00 Uhr ein Chip zum Betreten bzw Verlassen des Gebäudes eingesetzt werden. Lediglich für das Aufsperren der beiden Großraumbüros, des Büros des Fuhrparkleiters sowie der beiden Serverräume sei der Chip erforderlich.

Aus den gewonnenen Daten könne tatsächlich kein Bewegungsmuster ausgelesen werden, das System sei dazu gar nicht geeignet. Zudem sei es gar nicht möglich, die Arbeitszeitaufzeichnung mit dem Zutrittssystem zu koppeln. Das elektronische Schloss sei nur eingeführt worden, damit das gesamte Betriebsgelände der Beklagten über ein zentrales Schließsystem verfüge. In der Vergangenheit sei es immer wieder vorgekommen, dass Mitarbeiter die übergebenen Schlüssel verloren hätten oder nicht mehr auffinden konnten. In einem solchen Fall sei die Beklagte immer mit dem Problem konfrontiert gewesen, das gesamte Schließsystem mit enormen Kostenaufwand erneuern bzw austauschen zu müssen. Aufgrund des nunmehr eingeführten Chip‑Systems könnten im Falle eines Verloren-Gehens von Chips diese über die Zentrale deaktiviert werden, sodass, sollten Chips nicht mehr auffindbar sein oder gestohlen werden, das gesamte zentrale Schließsystem nicht mehr kostenintensiv erneuert werden müsste.

Der Oberste Gerichtshof sprach dazu folgendes aus:

Die Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der Arbeitnehmer durch den Betriebsinhaber bedürfen, sofern diese Maßnahmen (Systeme) die Menschenwürde berühren, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrats. Es handelt sich um einen Fall der notwendigen Mitbestimmung.

Unter einer Kontrollmaßnahme ist die systematische Überwachung von Eigenschaften, Handlungen oder des allgemeinen Verhaltens von Arbeitnehmern durch den Betriebsinhaber zu verstehen. Es geht dabei um von Seiten des Betriebsinhabers veranlasste Regelungen, die insbesondere vorschreiben, wann, unter welchen Umständen und auf welche Weise Arbeitnehmer während ihrer Arbeitsleistung (auch wenn sie außerhalb der Betriebsräumlichkeiten erbracht wird) oder überhaupt während ihres Aufenthalts im Betrieb zu irgendeinem Zweck überprüft werden.

Kontrollmaßnahmen bzw -systeme stellen schon dann eine zustimmungspflichtige Maßnahme iSd  dar, wenn die Einrichtung objektiv geeignet ist, die Arbeitnehmer zu kontrollieren, auch wenn dem Betriebsinhaber jede Kontrollabsicht fehlt. Zu welcher Zeit, unter welchen Umständen und auf welche Weise die Maßnahmen bzw das System Verwendung finden, ist irrelevant: Der Einsatz kann beim Betreten oder Verlassen des Betriebs oder bestimmter Betriebsteile, ferner während der Arbeitsleistung in oder außerhalb des Betriebs oder überhaupt während des Aufenthalts im Betrieb zu irgendeinem Zweck erfolgen. Die Zustimmungspflicht (wenn auch das Tatbestandselement des Berührens der Menschenwürde erfüllt ist) setzt daher nicht erst bei der Auswertung, sondern bereits bei der Ermittlung der Daten ein, weil bereits die Datenerfassung die objektive Kontrolleignung ermöglicht. Relevant ist damit nicht, was tatsächlich kontrolliert wird, sondern was konkret kontrolliert werden kann.

Für die Beurteilung, ob die Einrichtung bzw das installierte System objektiv geeignet ist, die Arbeitnehmer zu kontrollieren, sind die konkreten (softwaremäßigen) Anwendungsmöglichkeiten des Systems von Bedeutung. Entscheidend ist, ob aufgrund der konkreten organisatorischen und technischen Vorkehrungen die Kontrollmaßnahme jederzeit eingesetzt werden kann, nicht ob sie tatsächlich eingesetzt wird.

Im konkreten Fall war – so der Oberste Gerichtshof – von der objektiven Eignung des von der Beklagten gewählten elektronischen Schließsystems „e*“, ein arbeitnehmerbezogenes Bewegungsprofil während des ganzen Arbeitstags zu erstellen, auszugehen.

Bei Maßnahmen oder Systemen, die – wie hier – die objektive Eignung zur Kontrolle der Arbeitnehmer erfüllen, ist dann aber in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob durch das konkret installierte Kontrollsystem die Menschenwürde berührt ist.

Der Anwendungsbereich (und damit die Zustimmungspflicht) wird nämlich nicht in jedem Fall mit der Einführung einer (als objektiv geeignet beurteilten) Kontrollmaßnahme bzw eines technischen Kontrollsystems eröffnet, vielmehr verlangt die Regelung (anders die deutsche Rechtslage), dass mit Einführung des Systems die Menschenwürde der Arbeitnehmer berührt wird.

Der Gesetzgeber will mit der Anknüpfung an die „Menschenwürde“ erreichen, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers keinen übermäßigen Eingriffen ausgesetzt ist. Auch die Privatsphäre eines Arbeitnehmers ist zu den geschützten Rechtsgütern zu zählen. Die Menschenwürde wird von einer Kontrollmaßnahme oder einem Kontrollsystem dann „berührt“, wenn dadurch die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird.

Durch eine „Stechuhr“ (Zeitstempeleinrichtung) zur Arbeitszeitkontrolle wird die Menschenwürde noch nicht berührt; in der Regel auch nicht durch die in der Arbeitswelt verbreitete Verwendung von Magnetkarten, solange sie nicht ein arbeitnehmerbezogenes Bewegungsprofil während des ganzen Arbeitstages erlauben.

Die Beantwortung der Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme auch nur berührt wird, bedarf nach der Rechtsprechung überdies in jedem Einzelfall einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen. So sind einerseits die Interessen des Arbeitgebers, der im Arbeitsverhältnis ein grundsätzliches Recht zur Kontrolle der Arbeitnehmer hat, aber darüber hinaus zB auch sein Eigentum sichern und schützen will, und andererseits die Interessen des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen. Dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kommt hier regulierende Funktion zu. Persönlichkeitsrechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als dies durch ein legitimes Kontrollinteresse des Arbeitgebers geboten ist. Es ist das schonendste – noch zum Ziel führende – Mittel zu wählen.

Im konkreten Fall kam der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Frage, ob das elektronische Schließsystem „e*“ im Betrieb der Beklagten in der derzeit konkreten Ausgestaltung die Menschenwürde der Arbeitnehmer berührt, aufgrund des bislang festgestellten Sachverhalts noch nicht abschließend beantwortet werden konnte. Das Erstgericht wurde daher mit der Erhebung weiterer Fakten zu dem Umfang des elektronischen Zutrittssystems (OGH 14.7.2022, 9 Ob A 60/22x).

2. Anfechtung einer Änderungskündigung

Ein Unternehmen führt eine interne Umstrukturierung durch und konnte einen Arbeitnehmer nicht mehr am bisherigen Arbeitsplatz auf Dauer einsetzen, weshalb es ihn zunächst vorübergehend auf einen anderen Arbeitsplatz versetzte. Das nunmehr beklagte Unternehmen wollte damit den Arbeitnehmer (nunmehr Kläger) nicht zur Selbstkündigung bewegen, sondern war der Ansicht, dass die Versetzung durch den Dienstvertrag gedeckt sei und zu keiner Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Klägers führe. Da der Kläger dieser Versetzung widersprach, die Beklagte aber keine andere Einsatzmöglichkeit für den Kläger im Betrieb hatte, sprach sie in der Folge eine Änderungskündigung aus, die der Arbeitnehmer gerichtlich bekämpfte.

Eine Kündigung kann unter anderem dann angefochten werden, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer erfolgt ist.

Strebt ein Arbeitgeber auf dem durch die Rechtsordnung vorgesehenen Weg, nämlich durch ein Änderungsangebot, eine Vertragsänderung über dispositive Vertragspunkte an und stimmt der Arbeitnehmer nicht zu, so kann die aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung nicht wegen Vorliegen eines „verpönten Motivs“ (im Sinne der Geltendmachung von in Frage gestellten Ansprüchen) gerichtlich angefochten werden.

Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass das Interesse eines Arbeitgebers an einer notwendigen oder sachgerechten – auch verschlechternden – Änderungsvereinbarung für die Zukunft noch kein Infragestellen bestehender Ansprüche des Arbeitnehmers bedeutet, weil der Änderungswunsch deren Anerkennung gerade voraussetzt. Insofern kann in der Ablehnung eines Änderungsbegehrens durch den Arbeitnehmer auch keine Geltendmachung von Ansprüchen gesehen werden, die vom Arbeitgeber in Frage gestellt wurden.

Anders verhält es sich jedoch nach der Rechtsprechung, wenn das mit der Androhung der Beendigung des Vertragsverhältnisses verbundene Änderungsanbot die Reaktion auf die Geltendmachung nicht offenbar unberechtigter Ansprüche durch den Arbeitnehmer war und inhaltlich darauf hinauslief, den Arbeitnehmer vor die Wahl zu stellen, seine Forderung (im Wesentlichen) aufzugeben oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinnehmen zu müssen.

Dies war jedoch im gegenständlichen Fall nicht so: Der beklagte Arbeitgeber nahm – so der Oberste Gerichtshof –mit der Änderungskündigung die ihm einzig verbliebene Möglichkeit einer Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses – wenn auch unter anderen Bedingungen und auf einem anderen Arbeitsplatz – wahr (OGH 27.4.2022, 9 Ob A 20/22i).

 

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